Unsere Persönlichkeit entwickelt sich stetig weiter und wir durchlaufen im Leben die verschiedensten Rollen. Einige unserer Persönlichkeits-Anteile tun uns gut und wir finden grossen Gefallen daran, sie immer weiter auszubauen und stolz nach aussen zu tragen. Oft sind dies Teilpersönlichkeiten bei denen wir uns sicher sein können, dass sie Anklang in unserer unmittelbaren Umgebung finden. Andere Anteile wiederum versuchen wir abzulegen oder zu verstecken, da wir instinktiv spüren, dass diese nicht erwünscht wären. Manche könnten auch das bisherige Lebenskonzept ziemlich auf den Kopf stellen. Einige mussten wir uns aufgrund äusserer Umstände als Schutz zulegen, manche wurden uns von aussen auferlegt und wieder andere verleugnen wir auch vor uns selbst.
Das Ich-Selbst steht nicht nur mit unseren Ebenen in dauerhafter Verbindung, es hält diese auch mit all unseren Teilpersönlichkeiten. Ob uns diese in der unmittelbaren Gegenwart bewusst sind oder nicht spielt keine Rolle. Auch zu verdrängten Anteilen bleibt diese Verbindung bestehen. Die Teilpersönlichkeiten sind im Ei-Modell als kleinere Kreise dargestellt. Der Aufbau beginnt in ihrem Kern, in welchem sie eine Qualität und das dazugehörige Potential tragen. Danach folgen die Archetypischen-Färbungen sowie Bedürfnisse, Instinkte und Triebe. Durch äussere Einflüsse entwickeln sich schliesslich die individuellen Verhaltensweisen und Muster der einzelnen Teilpersönlichkeiten.
Durch die Herausforderungen des Lebens kommt es häufig dazu, dass Anteile die mit schweren Erfahrungen konfrontiert wurden, in den unteren Teil des Ei´s abtauchen. Oft sind sie mit Angst, Scham oder anderweitigen unangenehmen Gefühlen behaftet. Die Anteile mit denen wir nicht umgehen können oder wollen, landen im psychologischen Keller und verschwinden somit aus unserer unmittelbaren Wahrnehmung. Was jedoch nicht bedeutet, dass sie deswegen an Kraft verlieren.
In der Arbeit mit den Teilpersönlichkeiten steht das Ich-Selbst an zentraler Stelle. Oft wird dies mit einem Orchester verglichen, wobei die Musiker die Teilpersönlichkeiten und der Dirigent das Ich-Selbst darstellen. Der Dirigent kennt das Stück welches es zu spielen gilt, er kennt die verschiedenen Talente und Fähigkeiten seiner Musiker und weiss, wann und zu welchem Zweck er sie einsetzen kann. Die Musiker sind auf den Dirigenten ausgerichtet und warten auf sein Zeichen, damit ihr Einsatz im passenden Moment zum Zug kommen kann, soweit die Theorie.
In der Praxis kommt es häufig vor, dass das gesamte Orchester oder einzelne Spieler einfach wild loslegen, wodurch sich der Dirigent in einer eher unangenehmen Situation wiederfindet. Vor allem Anteile die irgendwann im Keller gelandet sind, haben die Tendenz plötzlich aufzutauchen und einiges Durcheinanderzubringen. Auch wenn ihre Geschichten viele Jahre zurückliegen, bleiben sie in uns lebendig bis wir uns ihnen zuwenden. Durch das Ich-Selbst kommen wir mit den Teilpersönlichkeiten in Kontakt ohne uns mit ihnen zu identifizieren. Dieses nicht-identifiziert-sein ist notwendig, um das Thema von aussen betrachten zu können. In der Identifikation mit einem Anteil gibt es keine objektive Sichtweise, dieser Teil kennt nur das was er bisher erlebt hat.
Wenn wir im Alltag unterwegs sind, nehmen wir die automatisch ablaufenden Wechsel nicht wahr. Wir überlegen in der Regel nicht, wie wir uns mit unserem Arbeits-Ich identifizieren, wir gehen einfach zur Arbeit. Wir überlegen auch nicht, wie wir von unserem Arbeits-Ich zu unserem Partner-Ich wechseln, die Übergänge sind fliessend, vor allem bei Rollen, die uns vertraut und bewusst sind. Wir sind in sie hineingewachsen und wissen was sie ausmacht, sie machen einen guten Job und werden nicht hinterfragt. Fakt ist jedoch, dass jeder unserer Anteile eigene Bedürfnisse mitbringt und das Arbeits-Ich andere Prioritäten hat als unser Partner-Ich. Diese offensichtlichen Auseinandersetzungen lassen sich in der Regel noch leicht lösen, weil uns die Thematik bewusst ist. Kommen wir jedoch mit Anteilen in Kontakt die wir nicht frei leben, sei dies weil sie von sich aus im Keller verschwunden sind oder sie schlicht keinen Platz im vorgesehenen Lebensplan haben, sind die Verstrickungen nicht immer so offensichtlich und rational nachvollziehbar. Alle unsere Teilpersönlichkeiten erfüllen eine bestimmte Aufgabe in unserem Gesamt-System. Alle unsere Anteile, die sich im Laufe des Lebens gebildet haben und sich noch bilden werden, haben ihren Ursprung in uns selbst, ihre eigene, individuelle Geschichte und somit eine unantastbare Da-Seins Berechtigung.
In der Arbeit mit unseren Teilpersönlichkeiten können wir rausfinden, worum es wirklich geht, was für eine Qualität sie wirklich in ihrem Kern tragen. Teilpersönlichkeiten die in schwierigen Umständen entstanden sind, legen sich oft einen entsprechenden Schutz zu, der ihre wahre Qualität verschleiert. Sie können Narben und Verletzungen davontragen, sich mit der Zeit in ein richtiges Monster verwandeln, uns ängstigen oder sich uns in bestimmten Situationen in den Weg stellen. In der Regel tun sie dies weil sie fürchten, dass wir nochmal die gleichen Erfahrungen durchleben, wovor sie uns schützen möchten. Wenn es sich jedoch um Persönlichkeitsanteile handelt, die in unserer frühen Kindheit entstanden sind, wird das vorhandene Schutz-Muster im Erwachsenen-Alter ein Hindernis darstellen. Der Anteil funktioniert noch immer nach den alten Gesetzen der Zeit, in der er entstanden ist. Folglich sind die dazugehörigen Abwehrmechanismen und Schutz-Muster nicht die eines Erwachsenen.
Durch die innere Arbeit und das Verständnis dessen, worum es im Kern wirklich geht, können alte Muster aufgelöst und neue Formen geschaffen werden. Aus dem Ich-Selbst können wir in unserem eigenen Tempo, unsere Anteile mit ihren individuellen Bedürfnissen ernst und wahrnehmen, ihnen einen Platz in uns geben und für sie sorgen sowie ein gänzlich neues Selbstverständnis entwickeln.